#3 Sie rufen an, ich lege auf!
“Sie meassn de Musi leisa drahn”, höre ich einen Polizisten in breitem bayrischen Dialekt sagen. “Der Schall klatscht auf den See und in olle Dörfer rundherum head ma des”, führt er fort. Wie um Gottes Willen war ich nur als DJ aus Österreich zu einer Hochzeit am bayrischen Wörthsee mit norddeutschen Gästen gekommen? In der spektakulären Serie MAD MEN, in der Don Draper den James Bond der Werbebranche an der New Yorker Madison Avenue in den 60er-Jahren gibt, habe ich Folgendes gelernt: In der Werbung wird die Aufmerksamkeit der Kundinnen & Kunden mittels Entertainment, also Unterhaltung, erregt, um dann die gewollte Message, ist gleich Nachricht, zu transportieren. Ein knackiger Slogan schadet nicht, um das Produkt zu beschreiben. Es soll niemand mehr sagen stundenlanges Binge-Watching führe nur zu viereckigen Augen und bringe nichts. Letztendlich wollen einem alle etwas verkaufen, aber wenn einem das bewusst ist, macht es sogar Spaß. Donald Draper, von Schauspieler Jon Hamm einnehmend gespielt und verkörpert, wird in MAD MEN einmal gefragt: “What do you like?” und er antwortet: “Ham”. Das ist doch mal ein Witz! Beim Erstkontakt mit dem Brautpaar habe ich mir auch noch gedacht: Super, mal am Wörthersee in Kärnten auflegen. Der Ausflug zum Wörthsee im bayrischen Fünfseenland hingegen gehört sicher zu den aufregendsten in meinem Leben als Hochzeits-DJ. Vermittelt hatte mir den Gig ein alter Bekannter, der damals in einem Hostel in Wien arbeitete und auf die Frage eines Bargastes nach der Musik für seine Hochzeit gemeint hatte: “Ganz klar DJ Noodge!” Gesagt, getan, war ich dann auch schon bei knapp 35 Grad in Richtung Bayern unterwegs, ausnahmsweise nicht mit einem VW-Bus, sondern mit meinem Privat-PKW, vollgeräumt bis oben hin, also voller Kofferraum und umgelegter Rücksitz. Was wären wir ohne Autos? Und wie kämen wir dorthin? Ohne PA-Anlage, Lichtanlage, DJ-Tisch, Lichtstativ, Kabelkiste, Mischpult, Mikrofone.. sprich: Ohne das Verleihgeschäft, keine Marie. Alte DJ-Weisheit. Ein Open Air – Auftritt direkt neben einem See bringt natürlich viele Vorteile mit sich, alleine schon wegen der Atmosphäre. Eine zauberhaft laue Sommernacht war es, alle gut drauf. Was für Österreich “Ein knallrotes Gummiboot” von Wencke Myhre ist, ist für Norddeutschland anscheinend “Aloha Heja He” von Achim Reichel – inklusive am Boden sitzen und Ruderbewegungen mit den Armen nach vorne & hinten. Mir war das neu, aber ich lerne gerne dazu. Auch, wie so ein Babyphon funktioniert, das mir mit den Worten: “Wenn es blinkt, hole uns bitte von der Tanzfläche” erklärt wurde. Ich glaube, es war dann auch nicht mehr lange hin bis zur Stippvisite der bayrischen Polizei. So gegen halb zwei, zwei in der Nacht bzw. in der Früh muss es gewesen sein. Es ist aber auch eine Uhrzeit, wo schon alle das eine oder andere Kaltgetränk gehoben haben. Eine Hochzeit dauert ja lange, also die Feier. Als DJ trinkt man in der Regel weniger als die Gäste. Bier ist gefährlich, weil es treibt, klar. Hin und wieder ein Achterl Wein oder ein Cocktail neben einem Glas Wasser sollen aber nicht schaden. Was ich damit sagen möchte: Ich war der nüchternste Hochzeitsteilnehmer am Gelände, deswegen wurde mir auch die Kommunikation mit der Polizei vom Brautpaar übertragen. Diese Verantwortung habe ich dann pflichtbewusst wahrgenommen. Sie waren eigentlich ganz freundlich, haben mir wie beschrieben die Naturgesetze von Schall und besonders dessen Effekte auf Wasseroberfläche nähergebracht. Mit dem Hinterlassen meiner Handynummer konnten wir aber bis 4 Uhr früh weiterhin Musik spielen, nur etwas leiser. Zu meinem Erstaunen habe ich die verbleibende Nacht keinen Anruf mehr erhalten. Getoppt werden kann dieses Erlebnis wohl nur mehr durch eine Hochzeit in Slowenien, wo ich durch ein Versehen als einziger Gast in einem Jugendhostel für Pfadfinder untergebracht wurde. Leere Gänge, Staubsauger am Gang und weit und breit keine Seele. Die Rückkehr ins Hostel mitten in der Nacht hat mich nachhaltig verändert, die Stunden alleine eingesperrt in einem Sechsbettzimmer auch. Ja genau, ich hatte das Shining. Aber das ist eine andere Geschichte.
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